Die Staatsbürgerschaften

Insbesondere: Die doppelte Staatsbürgerschaft

 

Die ablehnende Haltung der Nationalisten gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft, als bedeutsame, die deutsche Nation zu gefährdende Maßnahmen hinzustellen, wäre nur lächerlich, wenn damit nicht die beabsichtigte Ausgrenzung von Mitbürgern am demokratischen Geschehen gemeint wäre. Die Staatsbürgerschaften sind das kümmerliche Ergebnis einer über Jahrhunderte alten mörderischen Geschichte die zur Zerstückelung von Europa führte, beginnend mit den Feudalstaaten der Leibeigenen, den von "Gott gewollten" Monarchien, der Adelsherrschaft, bis hin zu mehr oder weniger faschistischen Nationalstaaten, von denen der deutsche Nationalstaat, rühmlich, mit der Entfesselung von zwei Weltkriegen vorwegmarschiert. Und immer waren es die, von despotischen Regimen irregeleiteten Völker, die sich als Opfer auf den Schlachtfeldern Europas wiederfanden. Der Nationalstaat trägt latent in sich das faschistische Element der aggressiven Abgrenzung gegen benachbarte Völker und gegen ethnische Minderheiten. Das jetzige deutsche Staatsbürgerschaftsrecht, noch aus wilhelminischen Zeiten, ist der unzeitgemäße Beweis dafür. Seither gibt es andere Erfordernisse an die aufgeklärte Bürgergesellschaft.

Mann muss auch kein Visionär sein, um zu begreifen, dass solche nationale Gesetze völlig dem demokratischen Prozess zuwiderlaufen- unzeitgemäß verhindern, und dass in naher Zukunft deren Abschaffung sowieso erfolgen wird. Es ist längst überfällig, dass sich der Zeitgenosse seine Identität nicht vom Nationalstaat mit seiner "heldenhaften Geschichte" der Völkermorde suggerieren lässt, sondern sich auf sich selbst besinnend, als Mitglied einer freien, humanen und offenen Gesellschaft, ohne nationalistische und rassistische Vorurteile versteht. Die Lösungen weltweiter Probleme lassen keinen anderen Schluss zu, will man diese humanistisch, also friedlich, lösen und jede andere Denkart führt in eine Sackgasse von unsinnigen Spannungen, aus der dann ohne Gewaltakte kein Weg wieder herausführt. Ich selbst und mein Vater mit unseren jahrelangen Aufenthalt in Portugal sind mit diesen Problemfragen konfrontiert- sind Ausländer mit teilweise vergleichsweiser "türkischer" Problematik. Und wir sind auch ein Beispiel für die unterschiedliche Abfolge der Integration mit allen seinen Merkmalen zB: zweier Generationen.

Die europäische Union ist der späte Versuch ein friedliches Zusammenleben der Völker auf den europäischen Kontinent, ohne nationalstaatliche Grenzen zu ermöglichen. Und die Gemeinschaft dieser Völker muss die Auflösung ihrer Nationalstaaten zum Ziel haben; u.a., beginnend mit der Freizügigkeit in der ungehinderten bedingungslosen Wahl des Wohnortes in der Union, und die ungehinderte Integration, mit aktiven und passiven Wahlrecht eines jeden Bürgers, sind zwingende Voraussetzung. Die Rechte aus der jeweiligen Staatsbürgerschaft haben auf jeden Bürger dieser Gemeinschaft überzugehen, wenn er sich im beliebigen "noch"- Hoheitsstaat dauerhaft aufhält. Eine eilige Annäherung der Gesetze ist erforderlich! Ohne diese Ausgewogenheit und ohne Freizügigkeit, und ohne die gleichen Grundrechte für ALLE Bürger in der Gemeinschaft würde die EU sich selbst ad adsurdum führen. Die jetzigen Staatsbürgerschaften haben auf nur die eine – auf die Unionsbürgerschaft überzugehen – nur so lässt es sich dem für uns alle gefährlichen Bazillus nationalistischer Umtriebe mit ihrer Ausrichtung gegen ausländische Mitbürger am wirkungsvollsten dauerhaft begegnen. Die Abgrenzung, auch der ausländischen Mitbürger von außerhalb der Union, lässt sich nur als fremdenfeindlich interpretieren, sie ist in keiner Weise demokratisch im modernen Rechtsstaat zu legitimieren. Sie ist diskriminierender Akt mit allen unerwünschten Folgen. Grenzen nur als Handelshindernisse abzubauen, ohne die rechtliche Gleichstellung aller Bürger in der Gemeinschaft führt zum Rückfall der Mitglieder in ihre nationalen Enklaven und bedeuten das Ende der Gemeinschaft.

Hoffentlich werden in naher Zukunft, alle Bürger ihre jetzige nationalistische Identität mit der europäischen Staatsbürgerschaft vertauschen: das sind dann 14-16 und mehr Staatsbürgerschaften in EINER. Anders macht diese Gemeinschaft keinen Sinn. Und nun zu den Verhältnissen ausländischer Bürger in Deutschland und der doppelten Staatsbürgerschaft:

Wie bereits erwähnt ist die Ausstattung aller Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten der Bodensatz einer sozial gerechten und freien Gesellschaft, ohne die eine Demokratie nicht bestehen kann. Die Bedingung schließt auch den Status türkischer Bürger ein, ob der nun noch seine türkische Staatsbürgerschaft behält ist ohne belang. Viele der türkischen Mitbürger mit zunächst einer weiteren Staatsbürgerschaft, der Deutschen, werden sich eher mit der freieren und rechtsstaatlichen deutschen Gesellschaft identifizieren können, als mit ihren Herkunftsland; und darum muss es uns wichtig sein. Weshalb sollten wir uns vor der Integration von zB: türkischen Ausländern, fürchten? Ist es etwa die menschenverachtende Rechtspraxis in der Türkei – die sich dann in Deutschland etablieren würde? Die meisten Türken haben sich doch längst weit entfernt von den Verhältnissen in ihrem Herkunftsland und pflegen nur noch mehr oder weniger ihre religiösen Traditionen – und die auch nur, weil Sprachbarrieren, infolge isolierter Aufenthalte in D. und fehlende Integrationsbestrebungen in der deutschen Außenpolitik, die diese Verhältnisse dauerhaft werden ließen. Man darf nicht die Problematik muslimischer – christlicher Gegensätze unterschätzen. Aber damit werden wir noch in weiterer Zukunft konfrontiert werden. Und die Religionsführer tun gut daran den Dialog sich gegenseitig tolerierender Religionsgemeinschaften in Sinne garantierter Religionsfreiheit zu pflegen. Deren Kinder aber, meist mit dt. Schulbildung versehen, haben schon längst dt. Gewohnheiten und Denkweisen übernommen – die fühlen und denken doch mehrheitlich nicht mehr türkisch. Wenn man die aber nicht mit gleichen Rechten ausstattet, sie abgrenzt, müssen die sich wieder verstärkt in die Richtung ihres Herkunftslandes orientieren. Arme Zeitgenossen!

Anscheinend fürchtet sich der "christliche" Deutsche vor allem vor den andersgläubigen, dem Islam. Der beste Schutz eines Fanatikers vor sich selbst ist seine Aufnahme in eine offene pluralistische multikulturelle Gesellschaft und nicht seine Abgrenzung. Mit der Abgrenzung werden die Spannungen in der BRD zwangsläufig zunehmen. Denen diese Staatsbürgerschaft zu geben, ist die nützliche Voraussetzung für das friedliche Miteinander mit ethnischen Minderheiten. Das sind i.S.d. Gemeinschaft plus Punkte! Wo ist das Negativum? Wo gibt es Notstände? Die CDU hat meiner Ansicht nach wahlpolitisch das Thema ausgeschlachtet und Wasser auf die Mühlen rechtsnationalistischer Stimmungen und Gruppierungen bis hin zu den Neonazis gegossen und steht dabei auch noch ihm Widerspruch zur ihrer eigenen Außenpolitik in den Jahren ihrer Regierung. Erinnern wir uns doch; die Zunahme von Asylanten , die Rückholung deutschstämmiger Russen, die Öffnung zum Osten, war das Ergebnis einer Politik die weitgehend allein von der CDU getragen worden war. Die gleichzeitige Wegnahme von Arbeitsplätzen als Folge der Innovationen in der Automatisierung (zweite Industrielle Revolution) haben Ängste und alte Vorurteile gegen Ausländer wieder verstärkt und solche Stimmungen lassen sich natürlich wahlpolitisch nutzen; aber in der Sache selbst sind sie falsch. Und jene Politiker treiben ein unehrlichen Geschäft, die einerseits die EU als ihre Wahl verkaufen und andererseits sich gegen eine Integration von ausländischen Mitbürgern stellen.

Noch ein Rückblick: Viele der ausländischen Mitbürger kamen als Gastarbeiter in die BRD und haben jahrelang Aufbauarbeit nach dem Krieg geleistet – ohne diese wäre die BRD als Industrienation nicht denkbar gewesen. Die hinzugekommenen Asylanten, vor den Fall des "eisernen Vorhangs" hatten noch den gleichen "Nutzwert" und die nach dem Fall der Mauer, der Öffnung zum Osten, eingetroffenen Umsiedler und Asylsuchenden waren doch von der CDU dazu aufgefordert oder sogar eingeladen sich ins gelobte "neue Deutschland" zu begeben, wie zum Beweis des sich vom rassistischen Nationalsozialismus gereinigten Staates. Aber diese nach 1989 eingetroffenen Menschen sind während der gleichzeitigen wirtschaftlichen Umbruchssituation, die mit ihren weitreichenden Folgen, der Arbeitslosigkeit und hoher Staatsausgaben, viel schwerer zu integrieren als ihre Vorgänger. Diese Folgen aus der Öffnung zum Osten sind nur ein sehr kleiner Preis für die Sicherung des Friedens in Europa. – in der Welt. Jahrzehnte langes Wettrüsten zwischen den beiden Machtblöcken, zwei hochgerüstete Supermächte und ihre Trabanten tummelten sich mit tausenden Waffensystemen und mit atomaren Sprengköpfen bestückt, in Mitteleuropa- besonders an den Grenzen des geteilten Deutschlands und bedrohten Jahrzehnte lang unseren wertvollsten Besitztand - unser Leben!

 

 

 

 

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