Anknüpfung von Vorfragen

 

Von Rechtsreferendar Alexander Rathenau (November 2003)

 

Das Problem der Vorfragenanknüpfung stellt sich vor allem in den Fällen, in denen die deutsche Kollisionsnorm auf ausländisches Recht verweist, so dass ein ausländisches Recht Wirkungsstatut ist (lex causae).

 

Das Problem stellt sich, wenn zwei Bedingungen zusammentreffen:

 

1. Nach den Kollisionsnormen des deutsches IPR muss auf die Hauptfrage ausländisches Recht anwendbar sein.

2. Es muss um einen Rechtsbegriff im Tatbestand der ausländischen Sachnorm gehen.

 

z. B.: F hat in D vor einem Geistlichen die Ehe mit E geschlossen. E stirbt. Laut Bearbeitervermerk entscheidet die Wirksamkeit der Eheschließung darüber, ob die israelische Staatsangehörige F Erbin wird. Art. 25 EGBGB verweist auf israelisches Recht. Die Verweisung wird angenommen. Nach israelischem Sachrecht ist eine Eheschließung auch unter Mitwirkung eines geistlichen wirksam. Nach deutschem Recht wäre die Eheschließung gem. Art. 13 III EGBGB; §§ 1309; 1310 BGB unwirksam. Vorfragenanknüpfung?

 

In diesen Fällen fragt sich, ob das ausländische Recht auch für solche vom Wirkungsstatut aufgeworfene Fragen maßgeblich sein soll, die Gegenstand einer anderen deutschen Kollisionsnorm sind.

 

 

Beachte:

Setzt der Tatbestand einer deutschen Kollisionsnorm eine Vorfrage (im weiteren Sinne) voraus, dann erfolgt die Anknüpfung unstreitig nach allgemeiner Ansicht nach der lex fori, also selbständig nach deutschem Recht. Z. B.: auf die Scheidung ist nach Artt. 17 I 1 iVm 14 I Nr. 1 EGBGB griechisches Recht anzuwenden. Der TB des Art. 17 EGBGB setzt aber voraus, dass eine Ehe besteht (ohne Ehe keine Scheidung). Ob eine Ehe besteht, beurteilt sich also nach dem durch Art. 13 EGBGB bestimmten Recht (selbständige Anknüpfung).

 

 

Vertreten werden eine selbständige Anknüpfung nach dem IPR der lex fori sowie eine unselbständige Anknüpfung nach dem IPR der lex causae, also nach der auf die Hauptfrage anwendbaren Rechtsordnung.

 

Während eine selbständige Anknüpfung stets die deutschen Kollisionsregeln beruft, kämen bei einer unselbständigen Anknüpfung vorliegend die Kollisionsregeln der ausländischen Rechtsordnung zur Anwendung.

 

Der Streit zwischen den beiden Ansichten braucht nur dann entschieden werden, wenn sie jeweils zu einem anderen Ergebnis kommen. Die selbständige und unselbständige Anknüpfung müssen also zu unterschiedlichen Rechtsordnungen mit verschiedenen Sachvorschriften kommen. Ansonsten gelangen beide Ansichten zum gleichen Ergebnis.

 

Die unselbständige Anknüpfung fördert den internationalen Entscheidungsweinklang, da die Vorfrage so behandelt wird, wie ein mit ihr befasster Richter im Staat der lex causae sie behandeln würde. Für eine unselbständige Anknüpfung spricht zudem, dass das deutsche IPR die Anwendung von ausländischen Recht vorschreibt und wir nun nach Möglichkeit dieses Recht so anwenden sollten wie der fremde Richter und nicht bei der nächsten Gelegenheit wieder auf unser eigenes Kollisionsrecht zurückzuspringen.

 

Für die selbständige Anknüpfung spricht dagegen der interne Entscheidungseinklang: Das fragliche Rechtsverhältnis wird aus der Sicht des deutschen IPR immer gleich beurteilt, unabhängig davon, ob es als Vor- oder Hauptfrage auftritt; damit soll vermieden werden, dass ein Rechtsverhältnis von deutschen Gerichten einmal als wirksam, ein anderes mal als unwirksam angesehen wird. Diese Ansicht entspricht der Rspr. und der h. L.

 

Für den Vorrang des inneren vor dem äußeren Entscheidungseinklang sprechen vor allem zwei Argumente:

 

1. Zum einen ist der internationale Entscheidungseinklang ein formales Ziel, das nur mittelbar – durch die Erwartungs- und Sicherheitsinteressen des Rechtsverkehrs – inhaltliches Gewicht zukommt.

2. Zum anderen sieht man die Befriedungsfunktion des Rechts gefährdet, wenn ein deutsches Gericht ein und dieselbe Rechtsfrage (z. B. das Bestehen einer Ehe) als Vorfrage bejahen und als Hauptfrage verneinen müsste (oder umgekehrt).

 

In einigen Fällen ist jedoch ein differenziertes Lösungsmodell vorzugswürdig, wenn z. B.: gewichtige Interessen einer Person in Frage stehen. Es kann somit auf den auf den Einzelfall ankommen.

 

Eine Ausnahme vom Grundsatz der selbständigen Anknüpfung ist insbesondere dann zu befürworten, wenn im konkreten Fall die Auslandsbeziehung des Sachverhalts deutlich überwiegt. In einem solchen Fall kann die Sorge um die Wahrung der internen Harmonie ohne Schaden zurücktreten gegenüber dem Ziel der internationalen Entscheidungsgleichheit mit dem Staat, dessen Recht über die Hauptfrage entscheidet.

 

z. B.: wenn Ausländer in D nur in religiöser Form geheiratet haben und dann in ihr Heimatland zurückgekehrt sind, in dem diese Eheschließung anerkannt wird. Denn zum deutschen Eheschließungsort besteht keine hinreichende Verknüpfung mehr, und der Schwerpunkt des SV liegt im ausländischem Heimatstaat, so dass es angemessen erscheint, die Entscheidungsgleichheit mit diesem Staat in Vordergrund zu stellen.

 

Kommt es auf die Gültigkeit einer Ehe an, kann auch gefragt werden, ob die Ehe tatsächlich gelebt wurde und dann unter Beachtung dieser Tatsache die günstigere Variante aussuchen – unselbständige oder selbständige Anknüpfung.

 

 

Beachte:

Es existieren zwei Fallgruppen bei denen stets eine unselbständige Anknüpfung stattfindet:

1) Autonomes Kollisionsrecht: Eine unselbständige Anknüpfung wird für privatrechtliche Vorfragen der a) Staatsangehörigkeit, zum anderen für familienrechtliche Vorfragen des b) Namensrechts bejaht. Zu a) Wenn der Erwerb oder der Verlust einer Staatsangehörigkeit von einer privatrechtlichen, insbesondere familienrechtlichen Vorfrage abhängt (etwa der Gültigkeit einer Heirat oder der Wirksamkeit einer Adoption), wird diese Vorfrage nach dem IPR des Staates angeknüpft, um dessen Staatsangehörigkeit es geht. Dies folgt aus dem Gedanken, dass jeder Staat selbst darüber befinden soll wen er als seinen Staatsbürger betrachtet. Zu b) Das materielle Namensrecht macht den Erwerb oder Verlust des Namens häufig von familienrechtlichen Tatbeständen abhängig, etwa von der Abstammung, der Eheschließung oder der Adoption. Damit eine Person nicht im Inland diesen und im Ausland jenen Namen führt, hat die Rspr. die mit dem Erwerb oder dem Verlust eines Namens zusammenhängenden familienrechtlichen Vorfragen grundsätzlich unselbständig angeknüpft, vgl. Art. 10 I EGBGB.

2) Kollisionsrechtliche Staatsverträge inklusive inkorporierte Staatsverträge: Vorfragen in Staatsverträgen – soweit im Vertrag selbst nichts anderes angeordnet wird – sind im Interesse des internationalen Entscheidungseinklang unselbständig anzuknüpfen. Dieser Grundsatz gilt auch für ins nationale Recht inkorporierte Staatsverträge (insb. Art. 18 EGBGB; Art. 26 EGBGB und Art. 27 – 37 EGBGB). Daher beurteilt der BGH in Art. 18 EBGBGB die Feststellung der Vaterschaft nach dem für die Unterhaltsverpflichtung maßgeblichen Recht, knüpft diese Vorfrage also unselbständig an.